
Zum 125-jährigen Clubjubiläum lässt das FC Bayern Museum die alte Tradition der „Kneipzeitung“ wieder aufleben. Für die moderne Version, die der „51“-Ausgabe im November beiliegen wird, hat der Satiriker und Kabarettist Bruno Jonas einen Text verfasst. Im Interview spricht er über Humor, Bayern und Franz Beckenbauer.
Herr Jonas, wussten Sie vor diesem Projekt, was eine Kneipzeitung ist?
Meine Frau behauptet ja immer, ich sei ein Klugscheißer (grinst). Aber mit dem Begriff „Kneipzeitung“ konnte auch ich nur begrenzt etwas anfangen. Spontan habe ich ihn mit der studentischen Kultur in Verbindung gebracht. Den Bezug zum FC Bayern konnte ich aber erst mal nicht herstellen.
Zu den frühen Mitgliedern des Clubs gehörten viele Studenten, Akademiker, Künstler – und die saßen gern in geselligen Runden zusammen, sogenannten „Kneipen“. Zu Vereinsjubiläen haben sie satirische Zeitungen herausgebracht.
Mir gefällt, dass eine Kneipzeitung viel mit Humor zu tun hat. Die Leute damals haben sich in ihrem FC Bayern-Dasein nicht ganz so ernst genommen. Das finde ich gut. Humor schafft eine gewisse Distanz. Eigentlich ist der Fan ja jemand, der keine Distanz hat, der die totale Nähe sucht und kaum kritikfähig gegenüber seinem Verein ist. Und wenn er kritisiert, dann auf fanatische Art und Weise. Deswegen ist es schön, wenn jemand noch zu einer humorvollen Distanz fähig ist.

Wenn Sie ein Bayern-Spiel anschauen, wie ist es dann um Ihre humorvolle Distanz bestellt? Hört da der Spaß nicht manchmal auf?
(lacht) Ich bin oft froh, wenn ich mit meiner Frau allein vor dem Fernseher sitze und niemand sonst hört, was ich so alles von mir gebe. Fußball ist auch eine Form psychischer Hygiene. Da kann man emotional mal so richtig die Sau rauslassen. Aber man muss sich auch selber wieder einfangen können.
Beim „Finale dahoam“ 2012 waren Sie im Stadion. Können Sie heute darüber schmunzeln, was damals passiert ist?
Das war schon eine große emotionale Geschichte. Das muss man erst mal verarbeiten – der zeitliche Abstand hilft. Aber ich erinnere mich noch sehr gut. Der verschossene Elfmeter von Bastian Schweinsteiger, wie der Ball an den Pfosten geht… Auf dem Heimweg war es in der U-Bahn ganz still. Aber Niederlagen gehören dazu. Ich sage immer: Nur die Starken können auch verlieren.
Warum haben Sie sich auf das Projekt der Kneipzeitung eingelassen?
Das war selbstverständlich für mich. Ich bin ja Satiriker – und absoluter Bayern-Fan, seit ich in meiner Kindheit selbst Fußball gespielt habe. Ich habe alles genau verfolgt, schon damals, als der FC Bayern 1965 aufgestiegen und dann in seiner ersten Bundesliga-Saison so durchgestartet ist.
Die Mannschaft damals wurde fast Meister und gewann den DFB-Pokal.
Fan war ich schon vorher, aber in dieser Saison ist meine Faszination noch einmal exponentiell gestiegen – und hält bis heute an. „Kleines, dickes Müller“, wie Tschik Čajkovski gesagt hat; „Bulle“ Roth; Sepp Maier; der junge Franz Beckenbauer … Wir wollten damals alle so spielen wie Beckenbauer – aber das war natürlich aussichtslos.
Was waren Sie denn für ein Fußballer?
Ein eher unauffälliger. Ich habe beim FC Passau gespielt, erst als rechter Verteidiger, dann als rechter Läufer, irgendwann war ich Halbstürmer. Diese Positionen gibt es heute alle nicht mehr. Wenn ich eine Stärke hatte, dann dass ich schnell und ausdauernd laufen konnte. Für die tausend Meter habe ich drei Minuten gebraucht, das war nicht so schlecht. Und die 100 Meter bin ich in 12,6 Sekunden gelaufen.
Uli Hoeneß hat in seiner besten Zeit 11,0 Sekunden gebraucht.
Das wundert mich nicht. Uli steht für Kraft und Energie, für Attacke und hundertprozentige Leidenschaft für den FC Bayern. Er hat aber auch Humor. Das gefällt mir. Offenbar hat ihm auch mein Humor gefallen, denn er hat mich irgendwann angerufen und mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, die Rede auf der Weihnachtsfeier des FCB zu halten. Was ich natürlich sehr gern getan habe. Dabei habe ich festgestellt, dass der FC Bayern den humorvollen Blick auf sich selbst durchaus zu schätzen weiß.

2017 haben Sie bei der Eröffnung des FC Bayern Campus ebenfalls die Festrede gehalten.
Man hat mich gefragt, und es war mir eine Ehre. Danach kam der damalige Trainer Carlo Ancelotti zu mir und hat mir gratuliert. Das hat mich gefreut, aber ich habe mich schon gefragt: Was hat er eigentlich von meiner Rede verstanden (lacht)? Aber das Schöne im Bayerischen ist ja: Man muss gar nicht alles verstehen – oft reicht’s, wenn man’s hört.
Sie haben eine Gemeinsamkeit mit Uli Hoeneß und auch Herbert Hainer.
Ja, wir sind alle Metzger-Buam.
Was nimmt man aus der Wurstküche mit ins Leben?
Das kaufmännische Denken war sehr präsent in meiner Kindheit. Meine Mutter wollte zum Beispiel nicht, dass ich Abitur mache, ich sollte Metzger werden. Aber das war nicht so meins (grinst). Zurück zur Frage: Was nimmt man mit? Ich würde sagen, egal ob man in einer Metzgerei oder einem anderen Handwerksbetrieb aufwächst, man ist praktisch orientiert, achtet darauf, solide zu wirtschaften. Dafür steht ja auch Uli Hoeneß.
Sie sind beide Anfang der 50er Jahre geboren und haben die Zeit des Wirtschaftswunders mitbekommen. Hat Sie diese Zeit des Aufbruchs auch geprägt?
Meine Eltern haben bei null angefangen. Die sind beide jeden Tag um fünf in aller Herrgottsfrüh aufgestanden und haben das Arbeiten angefangen. Dass wir aus diesem Land mit Fleiß und Sparsamkeit wieder etwas machen müssen, dass wir aufbauen und nach vorne schauen müssen – dieses Denken war in den 1950er Jahren vorherrschend und bestimmte das Leben. Als Deutschland 1954 Fußballweltmeister wurde, war das ein wichtiges Signal für das kommende Wirtschaftswunder. Und ich glaube, der zuversichtliche Blick nach vorne ist eine wichtige Voraussetzung, um einen Fußballverein erfolgreich zu führen.
Sie beschäftigen sich in Ihren Programmen und Büchern gern mit dem Land Bayern und seinen Menschen. Ist der FC Bayern heute immer noch stellvertretend für das Land, das er im Namen trägt?
Das kann man schon sagen. Der FC Bayern steht für bayerisches Selbstbewusstsein. Auch für die Singularität des Bayerischen an sich. Man ist halt schon etwas Besonderes als Bayer und als FC Bayern. Man braucht nur an Franz Beckenbauer denken, zu dessen 60. Geburtstag ich die Ehre hatte, eine Rede zu halten.
Wie hat ihm das gefallen?
Ach, der Franz war einfach großartig. Wie er mit seiner Spontanität auf die Rede reagiert hat! Souverän! Ich hab ihn schon a bisserl ’naufg’schossen. Diese Lockerheit, sein Humor, seine Art zu sprechen. Die Ironie, die in der bayerischen Sprache angelegt ist, war bei ihm immer hörbar. Die Sätze, die der Franz in seiner einzigartigen Art von sich gegeben hat – der reinste Genuss! Bei einer Geburtstagsfeier von Uli Hoeneß saß er mal den ganzen Abend neben mir. Als er kam, hat er mir erst mal die Schultern massiert und gesagt: „Oh, du bist verspannt. Du musst lockerer werden!“ Das war sein Einstieg in das Gespräch. Für Franz war alles ein Spiel. Er hat ja auch gesagt: „Geht’s raus und spielt’s Fußball.“ Ihr müsst spielen! Fußball ist ein Spiel! Und da möchte ich den Bogen schlagen zu Friedrich Schiller, der gesagt hat: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Franz hat das gelebt. Auch sprachlich war er sehr spielerisch. Was er in den Beinen hatte, hat er auch auf der Zunge gehabt.

Zur aktiven Spielerzeit von Franz Beckenbauer entstand das, was man heute als „Bayern-Gen“ kennt. In Ihrem Text für die Kneipzeitung geht es genau darum. Warum gerade dieses Thema?
Das Bayern-Gen ist eine Zuspitzung, denn natürlich gibt es das in der Biologie nicht. Es ist ein Begriff, der ausdrückt: Es existiert eine Substanz, ein Kern des FC Bayern, auf den sich Menschen – egal ob auf dem Platz oder im Vorstand – einlassen. Für mich war das ein reizvoller Ansatz, darüber nachzudenken: Was ist dieses Bayern-Gen eigentlich genau?
Können Sie verraten, was Sie herausgefunden haben?
Ich kann’s vielleicht mit einem Bild sagen: Das Bayern-Gen ist wie ein ungeheures Gravitationszentrum, wie ein schwarzes Loch, das all die Eigenschaften, Tugenden und Werte bündelt, die den FC Bayern ausmachen – und das alle Menschen anzieht, die sich darin erkennen können.
Stellvertretend für das Gen stehen Spieler wie Beckenbauer, Gerd Müller, Uli Hoeneß, Paul Breitner, Bastian Schweinsteiger oder Joshua Kimmich.
Spieler aus allen Generationen – und aus allen Ländern. Wenn man heute auf den Kader schaut, sieht man Spieler aus Kanada, Kolumbien, Korea, Japan… Der FC Bayern zeigt, dass alle Kulturen, vielleicht auch alle Religionen, doch auch miteinander können – wenn sie sich an vorgegebene Spielregeln halten: Wir orientieren uns an gemeinsamen Werten, wir akzeptieren Entscheidungen, auch wenn wir sie vielleicht mal ungerecht oder unfair finden, wir akzeptieren Sieg und Niederlage. Der FC Bayern ist insofern repräsentativ für gegenseitige Toleranz und eine multikulturelle Gesellschaft.
Wer als Spieler zum FC Bayern kommt, muss sich auch auf das Bayerische einlassen. Ist etwa die Lederhose in der heutigen Kabinen-Vielfalt der kleinste gemeinsame Nenner?
Logisch, a Lederhosn ist auf jeden Fall ein Identitätsangebot. Wir laden alle, die zu uns kommen, ein, unter dem Dach des „Mia san mia“ eine Gemeinschaft zu bilden. Das „Mia san mia“ ist keine Ausgrenzung, sondern eine Einladung.
